Über die Sprache von Kunst und Kultur schafft man Zusammenhalt

„Über die Sprache von Kunst und Kultur schafft man Zusammenhalt“

Interview mit Jutta Schramm, Projektleiterin von „ZusammenLeben“ der Kulturfabrik Lehrter Straße 35, Berlin

Kannst du euer Projekt mit ein paar Sätzen vorstellen?

Die Idee zu dem Projekt entstand, als in einer Traglufthalle in der benachbarten Kruppstraße ein Flüchtlingsheim eingerichtet wurde und die Kinder auf dem Spielplatz mit den fremden Kindern in Kontakt kamen. Wir haben bemerkt, dass sowohl seitens der Erwachsenen als auch der Kinder große Vorurteile und Ressentiments bestanden. Wir haben damals mit Landesmitteln begonnen, auf ganz niedrigschwelliger Ebene Kontakte zum Flüchtlingsheim und zu den Familien auf dem Spielplatz aufzunehmen und die Kinder mit ganz kleinen Aktivitäten zusammenzuführen.

Durch das Bundesprojekt können wir jetzt auf einem höheren Niveau weitermachen: Mit Kunst und Kultur nicht nur die Kinder erreichen, sondern auch versuchen, die Eltern zusammenzuführen. Im Projekt arbeiten wir auf eine Abschlussperformance im Sommer hin. Zweimal in der Woche kommen die Flüchtlingskinder nach der Schule mit „unseren“ Kindern zusammen. Wir haben einen Mal- und einen Theaterkurs und Ferienangebote.

Wir würdest du den „Kiez“ und die Kinder, mit denen ihr arbeitet, beschreiben?

Moabit-Ost gehört zu den am stärksten sozial benachteiligten Gebieten Berlins, vergleichbar mit Marzahn, bloß dass es hier religiöser zu geht und der Familienzusammenhalt stärker ist. Ansonsten gibt es hier ebenfalls Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Suchtverhalten… Anfangs waren vor allem syrische Kinder in der Flüchtlingsunterkunft. Die Syrer sind mittlerweile alle in Wohnungen außerhalb Moabits untergebracht und damit dem Projekt abhandengekommen. Jemand, der existentiell damit beschäftigt ist, wo er hinkommt, ob er in die Schule darf, ob er eine Wohnung erhält, der meldet sich auch nicht beim Projekt ab. Zurzeit leben in der Unterkunft Russen, Kurden und Afghanen – also Menschen aus Ländern, bei denen nicht geklärt ist, ob die Familien hier bleiben dürfen oder ob sie abgeschoben werden. Das macht die Arbeit besonders kompliziert.
Die Kinder aus dem Stammpublikum kommen vor allem aus der Türkei, einige arabische sind dabei, in der Regel sind sie hier geboren.

Die türkischen und arabischen Familien sind ja selber häufig von Ausgrenzung betroffen – trotzdem gibt es bei ihnen diese Vorurteile. Hast du dafür eine Erklärung?

Ich denke, dass es die soziale Angst ist. Die Vorurteile sind geboren aus der Angst der Eltern, dass sie verdrängt werden oder keine Arbeit mehr bekommen.

Welche Rolle spielt das Thema Rassismus im Projekt und wie begegnet ihr dem?

Die Kinder haben sehr große Vorurteile, die durch die Eltern befördert werden. Die Angst der Eltern, ihren sozialen Status zu verlieren, das ist schon Rassismus. Deshalb war mir wichtig, dass wir auch Kontakte zu den Müttern haben, von den Stammkindern und den Flüchtlingskindern – und dass beide Gruppen mal zusammen einen Kaffee trinken und miteinander reden, trotz aller Sprachschwierigkeiten. Durch diese Menschlichkeit werden Vorurteile abgebaut. Wir machen auch gemeinsame Spaziergänge und gehen mit den Kindern in die Flüchtlingsunterkunft, damit die Kinder sich auch mal auf andere Art und Weise kennenlernen und vor allem sehen, unter welchen Bedingungen die anderen Kinder dort leben. Es ist wichtig, dass sie sehen, dass es gar nicht stimmt, dass „denen alles hinterher geschmissen wird“. Leb mal ein Jahr in so einer Traglufthalle!

Würdest du das Projekt selber als „Politische Bildung“ definieren?

Ich denke, wenn es um Fragen wie „Wo kommen die Kinder her, wie war der Fluchtweg?“ geht und wir über Kriege sprechen, das ist politische Bildung. Das andere ist Kultur und Kunst.

Findest du, dass politische Bildung erst einsetzt, wenn Inhalte vermittelt werden?

Nein, in dem Moment, wo die Kinder Lust haben, etwas zusammen zu machen, verschwindet der Rassismus. Dann ist es vielleicht kulturelle Bildung mit politischem Anspruch. Über die Sprache von Kunst und Kultur schafft man Zusammenhalt, alle arbeiten an einem Ding.

Das Interview führte Kristina Rahe, Projektleitung „Jugend ins Zentrum!“